Gesundheit

7 Antworten zu der Weiterentwicklung der IV für Kinder und Jugendliche

Der Bundesrat hat die Weiterentwicklung der IV auf den 1. Januar 2022 in Kraft gesetzt. Ziel der Neuregelungen ist insbesondere die bessere und nachhaltigere Unterstützung von Kindern und Jugendlichen, um möglichst zu verhindern, dass sie als IV-Rentner ins Erwachsenenleben starten.

Was ändert sich auf der Liste der Geburtsgebrechen?

Die IV finanziert die medizinische Behandlung von Geburtsgebrechen, sofern sie auf der Liste der Geburtsgebrechen aufgeführt sind.

Neu legt das Gesetz die Kriterien für die Aufnahme auf die Liste der Geburtsgebrechen fest. Auf der Liste sind Krankheiten, Leiden und Fehlbildungen aufgeführt, die:

- fachärztlich diagnostiziert sind;

- die Gesundheit beeinträchtigen;

- einen bestimmten Schweregrad aufweisen;

- eine langdauernde oder komplexe Behandlung erfordern; und

- mit medizinischen Massnahmen (…) behandelbar sind.

Eine Ausnahme bildet hier die Trisomie 21, die zwar nicht im Sinne des Gesetzes behandelbar, aber aufgrund eines parlamentarischen Auftrages gleichwohl auf der Liste aufgenommen ist.

Neu führt nicht mehr der Bundesrat, sondern das Departement des Innern die Liste der Geburtsgebrechen. Damit sind Anpassungen einfacher möglich, auch interessierte natürliche und juristische Personen können entsprechende Anträge beim Bundesamt für Sozialversicherungen stellen.

Welche medizinischen Behandlungen zahlt die IV bei Geburtsgebrechen?

Wie bis anhin übernimmt die IV für die Behandlung von Geburtsgebrechen bis zur Vollendung des 20. Altersjahres die Funktion einer Krankenversicherung. Anders als die Krankenversicherung übernimmt die IV dabei die vollen Kosten, die Versicherten zahlen keinen Selbstbehalt.

Damit die versicherte Person nach Vollendung des 20. Altersjahres materiell die gleichen oder zumindest ähnliche Leistungen von der Krankenkasse erhält, sind die Kriterien neu im Gesetz festgelegt: Wie in der Krankenversicherung gilt nun auch für die IV, dass die Behandlung «wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich» sein muss.

Neu ist zudem im Gesetz selbst festgelegt, dass der Bundesrat die medizinischen Pflegeleistungen bestimmt, für die die IV die Kosten übernimmt. Dies sollte beispielsweise bei der Kinderspitex zu einer einheitlicheren Rechtsanwendung und zu einer grösseren Rechtssicherheit führen.

Ab welchem Alter sind Integrationsmassnahmen möglich?

Neu ist es für Integrationsmassnahmen nicht mehr erforderlich, dass eine Person bereits erwerbstätig gewesen ist: Minderjährige ab dem vollendeten 13. Altersjahr und junge Erwachsene bis zum 25. Altersjahr, beziehungsweise allenfalls deren gesetzliche Vertretung, können sich bei der zuständigen IV-Stelle zur Früherfassung melden.

Ziel dieser Früherfassung ist die Vermeidung der Invalidität. Die Neuregelung erhöht gemäss Botschaft des Bundesrates die Chancen der Jugendlichen «auf eine ihren Fähigkeiten und ihrem Gesundheitszustand entsprechende Berufsausbildung».

Anrecht auf die Früherfassung haben entsprechend junge Personen, die:

- von Invalidität bedroht sind;

- noch keine Erwerbstätigkeit ausgeübt haben und

- von einer kantonalen Einrichtung bei der beruflichen Eingliederung unterstützt werden.

Wo soll die erstmalige berufliche Ausbildung stattfinden?

Neu hält das Gesetz fest, dass die berufliche Eingliederung möglichst im ersten Arbeitsmarkt stattfinden soll: «Die erstmalige berufliche Ausbildung soll sich nach Möglichkeit an der beruflichen Eingliederung im ersten Arbeitsmarkt orientieren und bereits dort erfolgen.»

Um im ersten Arbeitsmarkt passende Ausbildungsstellen zu schaffen, kann der Bundesrat mit den Dachverbänden der Arbeitswelt Zusammenarbeitsvereinbarungen abschliessen. Die IV kann sich an der Zusammenarbeit finanziell beteiligen.

Wie hoch ist das Taggeld während der Ausbildung?

Das Taggeld ist neu grundsätzlich gleich hoch wie der Lohn für gleichaltrige gesunde Personen, die eine Lehre absolvieren. Durch das bis anhin geltende System konnte das IV-Taggeld für junge Personen höher liegen als insbesondere der Lohn Gleichaltriger ohne gesundheitliche Beeinträchtigung.

Ziel der Neuregelung ist, dass die IV-Taggelder nicht attraktiver als ein regulärer Lohn sind. Wie der Bundesrat in seiner Botschaft schreibt, kann so «die IV als regelmässige Einkommensquelle wahrgenommen werden, was eindeutig einen finanziellen Fehlanreiz für junge Menschen darstellt.»

Konkret bedeutet die Ausrichtung des IV-Taggeldes am jeweiligen Ausbildungslohn gesundheitlich nicht beeinträchtigter Personen Folgendes:

- Der Anspruch beginnt mit Beginn der Ausbildung und nicht mehr mit der Vollendung des 18. Altersjahres;

- Die Höhe des Taggeldes richtet sich nach dem jeweiligen branchenüblichen Lohn für Lernende;

- Versicherte in allgemeinbildenden Schulen wie Fachmittelschulen oder Gymnasien erhalten kein Taggeld, da auch Personen ohne gesundheitliche Beeinträchtigung für den Schulbesuch keinen Lohn erhalten;

- Versicherte, die eine höhere Berufsbildung absolvieren oder eine Hochschule besuchen, erhalten nur insoweit Taggeld, als dass ihre gesundheitliche Beeinträchtigung einen Nebenerwerb verunmöglicht oder die Ausbildung verlängert.

Bis zu welchem Alter sind medizinische Eingliederungsmassnahmen möglich?

Bis anhin lag die Grenze für den Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen beim vollendeten 20. Altersjahr. Neu sind medizinische Eingliederungsmassnahmen bis zum vollendeten 25. Altersjahr möglich, sofern sie der Begleitung einer beruflichen Erstausbildung dienen. Als medizinische Eingliederungsmassnahmen gelten namentlich chirurgische, physiotherapeutische und psychotherapeutische Behandlungen. Die zuständige IV-Stelle spricht die medizinische Eingliederungsmassnahme für maximal zwei Jahre zu, kann sie aber verlängern.

Ziel der medizinischen Eingliederungsmassnahmen ist es, namentlich die Schul-, Ausbildungs- oder Erwerbsfähigkeit dauerhaft und wesentlich zu verbessern oder vor einer wesentlichen Beeinträchtigung zu bewahren. Sie sind nicht auf die Behandlung des Leidens an sich gerichtet, sondern dienen unmittelbar der Eingliederung namentlich in die obligatorische Schule, in die berufliche Erstausbildung oder ins Erwerbsleben.

Voraussetzungen für die Gewährung medizinischer Eingliederungsmassnahmen sind entsprechend:

- Die behandelnde Fachärztin stellt unter Berücksichtigung der Schwere des Gebrechens der versicherten Person eine günstige Prognose;

- Nach Vollendung des 20. Altersjahres besteht der Anspruch nur noch, wenn die versicherte Person an den gesetzlich festgelegten Massnahmen beruflicher Art wie einer Berufsberatung oder einer erstmaligen beruflichen Ausbildung teilnimmt.

Endet die medizinische Eingliederungsmassnahme nach Abbruch der beruflichen Massnahme?

Nicht zwingend. Bei einem Ab- oder Unterbruch namentlich einer medizinischen oder beruflichen Eingliederungsmassnahme prüft die IV-Stelle, ob eine Wiederholung oder eine Durchführung einer anderen Eingliederungsmassnahme möglich ist. Der Bundesrat erläutert in seiner Botschaft die Regelung für Jugendliche und junge Erwachsene wie folgt: «Gerade in dieser Phase des Lebens, in der gleichzeitig mit dem Übergang von der Kindheit ins Erwachsenenalter der Übergang von der Schule ins Erwerbsleben erfolgen soll, kommen Ab- und Unterbrüche sowie Neu- und Umorientierungen in der Ausbildung naturgemäss öfter vor. Gesundheitliche Probleme können diesen Effekt noch verstärken.»

Die IV übernimmt während längstens sechs Monaten nach Abschluss oder Abbruch der letzten Massnahme die Kosten für medizinische Eingliederungsmassnahmen. Bricht die versicherte Person die berufliche Massnahme ab und spricht die IV ihr innerhalb von sechs Monaten wiederum eine berufliche Massnahme zu, läuft die medizinische Eingliederungsmassnahme weiter.