Gesundheit

Kriege ich Sozialhilfe, obwohl ich Pensionskassengeld beziehen könnte?

Die Sozialhilfebehörde darf eine Person nicht zum vorzeitigen Bezug des Pensionskassengeldes verpflichten, wenn das Guthaben damit bei Erreichen des AHV-Alters bereits aufgebraucht wäre. In diesem Fall geht der Vorsorgeschutz dem in der Sozialhilfe geltenden Subsidiaritätsprinzip vor, wie das Bundesgericht mit Urteil vom 1. Februar 2024 entschieden hat.

Jede Person ist verfassungsrechtlich verpflichtet, individuelle und gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Basierend darauf gilt in der Sozialhilfe das Subsidiaritätsprinzip, wonach der Staat erst dann einspringt, wenn sich die Person finanziell nicht anders helfen kann.

Die Pensionskassengelder sollen es einem Rentner ermöglichen, den gewohnten Lebensstandard zu halten. Diverse gesetzliche Bestimmungen sichern den Erhalt des Vorsorgeschutzes. So darf die Pensionskasse das Freizügigkeitsguthaben frühestens fünf Jahre vor Erreichen des Rentenalters auszahlen. Ein noch früherer Bezug ist grundsätzlich nur dann zulässig, wenn sich die versicherte Person selbstständig macht oder auswandert oder wenn sie Wohneigentum erwirbt. Nicht ausbezahlte Vorsorgeguthaben sind zudem vor einer Pfändung geschützt.

Mann bezieht trotz Pensionskassenguthaben Sozialhilfe

Ein Mann bezieht Sozialhilfe, ohne der Behörde sein Freizügigkeitskonto zu melden. Als sie von dem Guthaben erfährt, stellt die Sozialhilfebehörde die Sozialhilfeleistungen ein und fordert Leistungen in der Höhe von CHF 77 671.80 zurück. Der Mann, so die Behörde, hätte fünf Jahre vor Erreichen des ordentlichen Rentenalters sein Freizügigkeitsguthaben beziehen können und wäre so nicht mehr abhängig von der Sozialhilfe gewesen. Der Sozialhilfebezüger erhebt erfolglos Einsprache beim Regierungsrat, auch das Kantonsgericht weist seine Beschwerde ab. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wendet er sich an das Bundesgericht.

PK-Gelder müssen nicht vor AHV-Alter aufgebraucht werden

In der Sozialhilfe gilt das Subsidiaritätsprinzip. Die Sozialhilfebehörde leistet nur dann Unterstützung, wenn die zumutbare Selbsthilfe oder Leistungen Dritter nicht ausreichen oder nicht rechtzeitig erhältlich sind. Die SKOS-Richtlinien relativieren dies, soweit es um Pensionskassengelder geht. So dürfen die Sozialhilfebehörden einer versicherten Person deren Freizügigkeitsleistungen erst zum Zeitpunkt des frühestmöglichen Bezugs der AHV-Leistungen anrechnen. Bis zum Zeitpunkt des Vorbezugs der AHV-Rente geht also der Vorsorgeschutz dem sozialhilferechtlichen Subsidiaritätsprinzip vor.

Auf ausbezahlte PK – Gelder darf Sozialhilfebehörde zugreifen

Bezieht die versicherte Person das Vorsorgeguthaben, darf sie frei über das Geld verfügen. Wie das Bundesgericht in einem früheren Entscheid festgehalten hat, darf aber in diesem Fall auch die Sozialhilfebehörde das Guthaben als Einkommen berücksichtigen. Allerdings sind ausbezahlte Pensionskassenguthaben beschränkt pfändbar. Die versicherte Person muss entsprechend nur den Betrag zurückerstatten, der für sie und ihre Familie «nicht unbedingt notwendig ist».

Für die Vorinstanz ist es stossend, dass eine Person schlechter fährt, wenn sie sich ihre PK-Gelder vorzeitig auszahlen lässt. Wie das Bundesgericht jedoch ausführt, liegt es im Ermessen der versicherten Person, sich ihr Guthaben auszahlen zu lassen oder nicht. Sobald sie sich freiwillig für die Auszahlung entschieden hat, ist der Vorsorgeschutz durch den Zugriff der Sozialhilfebehörde nicht mehr verletzt.

Bei grossen Vorsorgeguthaben kann Behörde Sozialhilfe streichen

Nicht in jedem Fall geht der Vorsorgeschutz dem Subsidiaritätsprinzip vor. Ein erzwungener Vorbezug ist laut Bundesgericht nur dann unverhältnismässig, «wenn trotz des Vorbezugs ein neuerlicher Rückfall in die Sozialhilfe vor dem Zeitpunkt des AHV-Vorbezugs» droht. Im vorliegenden Fall geht der Vorsorgeschutz dem Subsidiaritätsprinzip vor und der Mann hat keine Sozialhilfeleistungen zu Unrecht bezogen. (Siehe auch: «Habe ich trotz Hauseigentum Anspruch auf Sozialhilfe?»)

Das Bundesgericht hebt den Entscheid der Vorinstanz auf, auferlegt der Sozialhilfebehörde die Gerichtskosten in der Höhe von CHF 4 500 und verpflichtet sie zur Bezahlung einer Parteientschädigung im Umfang von CHF 2 800.