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Welche Aufklärungspflichten hat ein Vermächtnisnehmer?

Wie das Bundesgericht am 2. November 2021 entschieden hat, ist ein bezahlter Pfleger erbunwürdig, wenn er der Erblasserin eine Freundschaft vorspielt.

Vermacht eine Person einen Vermögensteil einer anderen Person im falschen Glauben, diese sei ihr freundschaftlich verbunden, kann der vorgesehene Vermächtnisnehmer erbunwürdig sein. Dies insbesondere dann, wenn der vorgesehene Vermächtnisnehmer arglistig handelt. Die Aufklärungspflichten sind umso umfangreicher, wenn zwischen der begünstigten Person und der Vermächtnisgeberin ein Abhängigkeitsverhältnis besteht.

Pflegefachmann betreut Frau jahrelang

Während 18 Jahren betreut ein Pflegefachmann gegen Entgelt eine ältere Frau. Im Laufe dieser Zeit übernimmt er auf ihren Wunsch hin auch die Funktionen als Generalbevollmächtigter, amtlichen Beistand und Vorsorgebeauftragter. Während die Frau kaum Kontakte zu ihrer Familie hat, besteht zwischen ihr und dem Pflegefachmann ein ausgeprägtes Abhängigkeitsverhältnis.

Mit letztwilliger Verfügung vermacht die Frau dem Pflegefachmann ihre Liegenschaft. Sie verfügt zudem, dass die gesetzlichen Erben ihre Ansprüche verlieren würden, wenn diese gegen dieses Vermächtnis opponierten. Nach dem Tod der Erblasserin weigert sich die von ihr eingesetzte Willensvollstreckerin, das Vermächtnis auszuliefern. Der Pflegefachmann wehrt sich gegen diesen Entscheid. Bezirks- wie auch Obergericht weisen die Vermächtnisklage ab, worauf er sich mit Beschwerde in Zivilsachen ans Bundesgericht wendet.

Bezahlter Pfleger täuscht Freundschaft vor und ist erbunwürdig

Erbunwürdig ist unter anderem, wer die künftige Erblasserin arglistig nicht über eine Tatsache informiert hat, aufgrund derer sie ihren Nachlass anders verteilt hätte. Wie die Gerichte im vorliegenden Fall feststellen, hat der Pflegefachmann «die Erblasserin in der Fehlvorstellung gelassen, seine Bemühungen beruhten auf echter Freundschaft und Zuneigung.»

Nach Treu und Glauben und auch in seinen Funktionen als Generalbevollmächtigter, amtlicher Beistand und Vorsorgebeauftragter wäre der Pflegefachmann aber verpflichtet gewesen, die Erblasserin über das entgeltliche Dienstleistungsverhältnis aufzuklären. Dies spätestens dann, als er von dem geplanten Vermächtnis erfahren hat oder als die Erblasserin ihm 200 000 CHF überwiesen hatte, einen Betrag, den er später auf Klage hin zurückbezahlt hat. Durch diese fehlende Aufklärung habe der Pflegefachmann «die falsche Vorstellung der Erblasserin benutzt und die Erblasserin psychisch beeinflusst, um sich zu bereichern. Er sei untätig geblieben, obwohl er hätte handeln können und müssen. Er habe planmässig gehandelt. Eine Arglist im Gesetzessinne sei daher vorliegend zu bejahen».

Wie das Bundesgericht weiter schreibt, sei nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon auszugehen, «dass die Erblasserin den Beschwerdeführer nicht begünstigt hätte, wenn er sie korrekt darüber aufgeklärt hätte, dass vorab ein entgeltliches Betreuungs- und kein Freundschaftsverhältnis vorgelegen» habe.

Das Bundesgericht bestätigt die Erbunwürdigkeit des Pflegefachmanns und auferlegt ihm die Gerichtskosten über 10 000 CHF.

Aktualisiert am 30. Mai 2024