Unterwegs

Müssen Autofahrer jederzeit mit Personen auf der Fahrbahn rechnen?

Autofahrer dürfen bei erwachsenen Verkehrsteilnehmern davon ausgehen, dass sie sich an die Regeln halten. Ein Autofahrer muss deswegen nicht damit rechnen, dass ein auf dem Trottoir spazierender Fussgänger unvermittelt auf die Strasse tritt. Dies hat das Bundesgericht mit Urteil vom 19. September 2018 bestätigt.

Jeder Strassenbenützer darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass erwachsene Verkehrsteilnehmer sich ordnungsgemäss verhalten. Ein Autofahrer ist auf der Strasse gegenüber Fussgängern in aller Regel vortrittsberechtigt. Er muss unter normalen Umständen nicht davon ausgehen, dass ein Fussgänger die Strasse einige Meter vor dem Fussgängerstreifen überquert, ohne sich auf den Verkehr zu achten.

(Siehe auch: «Fussgänger schaut aufs Handy und kollidiert mit Tram. Wer haftet?»)

Fussgänger tritt überraschend auf Fahrbahn

Der Autofahrer fährt mit einer den schlechten Witterungs- und Sichtverhältnissen angepassten Geschwindigkeit. Der auf dem Trottoir gehende Fussgänger hört Musik und dreht dem Autofahrer den Rücken zu.6.5 Meter vor dem Zebrastreifen tritt der Fussgänger auf die Strasse. 0.8 Sekunden später kollidert der Autofahrer mit dem Fussgänger. Dieser wird schwer verletzt.

Die Staatsanwaltschaft verurteilt den Autofahrer zu einer Busse. Im Einspracheverfahren spricht das Bezirksgericht den Autofahrer wegen Nichtbeherrschens des Fahrzeugs schuldig. Das Kantonsgericht weist die Beschwerde des Fahrzeugführers ab, das Bundesgericht hingegen heisst die Beschwerde in Strafsachen gut.

Besondere Vorsicht bei Kindern auf Strasse

Der Autofahrer hätte den Unfall nur verhindern können, wenn er präventiv gebremst hätte. Laut Bundesgericht erfordert jedoch das blosse Vorhandensein von erwachsenen Fussgängern auf dem Trottoir kein präventives Bremsmanöver. Denn der Autofahrer darf davon ausgehen, dass sich ein erwachsener Fussgänger ordnungsgemäss verhält. Anders sieht es bei schwächeren Verkehrsteilnehmern wie unter anderem Kindern aus. Bei diesen Verkehrsteilnehmern muss ein Autofahrer damit rechnen, dass sie sich nicht den Strassenverkehrsregeln entsprechend verhalten und eben beispielsweise unvermittelt auf die Strasse springen.

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde des Autofahrers gut und verpflichtet den Kanton, ihm eine Parteientschädigung in der Höhe von 3 000 CHF zu bezahlen.

Aktualisiert am 14. Juli 2022