Behörden

Genügt die bestandene Matura als Sprachnachweis für die Einbürgerung?

Ja, denn eine Matura ist staatlich kontrolliert und eidgenössisch anerkannt. Die Gemeinde kann deswegen nicht verlangen, dass eine weitere staatliche Behörde die Sprachkenntnisse im Einbürgerungsverfahren erneut prüft. Dies hat das Bundesgericht mit Urteil vom 8. März 2022 festgehalten.

Der Bund erlässt Mindestvorschriften für die Einbürgerung. Eine einbürgerungswillige Person muss insbesondere fähig sein, sich in Wort und Schrift in einer Landessprache zu verständigen. Die Kantone können weiter gehende Integrationskriterien vorsehen und insbesondere auch Kenntnisse der Lokalsprache verlangen. Sie müssen dabei aber eine eidgenössisch anerkannte Matura als Sprachnachweis akzeptieren.

Einbürgerungsgesuch nach bestandener Matura

Die kamerunische Staatsangehörige französischer Muttersprache besteht mit 18 die Matura, wobei sie im Fach «Deutsch als Fremdsprache» die Note 4 erreicht. Sie beginnt dann an der Universität Fribourg ein Studium der Biomedizin mit Nebenfach Deutsch.

Auf ihr nach bestandener Matura eingereichtes Einbürgerungsgesuch tritt der Gemeindesrat Thun nicht ein, da sie den erforderlichen Sprachnachweis nicht erbracht habe. Der stellvertretende Regierungsstatthalter wie auch das kantonale Verwaltungsgericht weisen die Beschwerde dagegen ab. Das Bundesgericht heisst die subsidiäre Verfassungsbeschwerde gut.

Kantone dürfen Kenntnisse einer Lokalsprache verlangen

Auch wenn die Beschwerdeführerin französischer Muttersprache die bundesrechtlichen Sprachvoraussetzungen für die Einbürgerung erfüllt, darf die Einbürgerungsgemeinde Thun zusätzlich auf Kenntnissen der Lokalsprache Deutsch bestehen: Die Berner Kantonsverfassung verlangt gute Kenntnisse einer Amtssprache, das kantonale Bürgerrechtsgesetz daneben auch die entsprechenden Kenntnisse der Sprache des Verwaltungskreises der Einbürgerungsgemeinde.

Maturazeugnis genügt als Sprachnachweis

Im Einbürgerungsverfahren gilt als bundesrechtlicher Sprachnachweis das Referenzniveau B1 für die mündlichen und A2 für die schriftlichen Sprachkompetenzen oder ein diesen Niveaus entsprechender Nachweis. Die Maturitäts-Anerkennungsverordnung sowie auch der kantonale gymnasiale Lehrplan verlangen höhere Sprachkenntnisse der Zweitsprache Deutsch. Gemäss dem Staatssekretariat für Migration (SEM), welches die Kantone bei der Prüfung der Sprachnachweise unterstützt, sei die Einbürgerungsgemeinde zu Recht nicht auf das Gesuch eingetreten,da die zuständige Geschäftsstelle die Maturaprüfung nicht als Sprachnachweis akzeptiere,

Das Bundesgericht hingegen ist anderer Ansicht: Das standardisierte Verfahren müsse zum Ziel haben, «unseriöse und qualitativ minderwertige oder ungenügende Sprachausweise» im Einbürgerungsverfahren auszuschliessen. Es erscheine aber als «überschiessend und systemwidrig» zu verlangen, dass eine einbürgerungswillige Person ihr eidgenössisch anerkanntes Maturazeugnis auch noch vom SEM validieren lassen müsse. «Insgesamt», so das Bundesgericht, «erweist es sich demnach als dem Gesetzeszweck klar zuwiderlaufend, innerhalb der Rechtsordnung widersprüchlich, unsachlich und stossend, die im Maturitätsausweis der Beschwerdeführerin bescheinigte Note 4 für Deutsch nicht als ausreichenden Sprachnachweis für die ordentliche Einbürgerung anzuerkennen». (Siehe aber «Muss meine Ärztin eine Amtssprache beherrschen?»)

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist die Streitsache an die Einwohnergemeinde Thun zur Neubeurteilung zurück. Diese muss die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit 3 000 CHF entschädigen.